Rush, bitte!

Thorsten Wulff schildert, wie der Hamburger Fotoladen Khrome den Reiz des Unperfekten in der analogen Fotografie feiert.

Anatol Kotte und Oliver Heinemann

Analoge Technologien erfreuen sich ständig wachsender Beliebtheit: Im Dezember 2022 wurden so viele Vinylplatten verkauft wie seit 1987 nicht mehr, die Presswerke kommen kaum hinterher. Leica legt die 1984 erschienene M6 wieder auf, auch weil man beim Umzug einer portugiesischen Fabrik die Werkzeuge und Restgehäuse nicht wegwarf. Pentax plant den Neubau von Spiegelreflexkameras, Ingenieure im Ruhestand sollen ihren jungen Kollegen die Technik beibringen. Neue Filmemulsionen und Chemikalien kommen auf den Markt. Das Analoge, einst abgeschüttelt wie eine störende Haut, etabliert eine stetig sich vergrößernde Nische, einen warmtonigen Gegentrend zur kalten Digitaltechnologie. Das authentisch Analoge wird zum Inbegriff der Coolness, wenn künstliche Intelligenzbestien wie Dall-E, Stable Diffusion und Midjourney das fotografische Handwerk infrage stellen. Mit Programmen wie set.a.light 3D können komplett virtuelle Shootings inszeniert werden – mitsamt Studio und Models. Eine Analogkamera und ein Streifen Film vermitteln hingegen solide, bodenständige Gewissheit.

„Ich sehe die Augen, die den Kaiser gesehen haben.“ Der französische Philosoph Roland Barthes beschreibt in seinem Buch „Die helle Kammer“ – neben Susan Sontags „On Photography“ das theoretische Standardwerk zur Fotografie des 20. Jahrhunderts –, wie er über ein Fotoportrait Jérôme Bonapartes von 1852 das Magische der Fotografie entdeckte. Ist es wirklich ein Unterschied, ob Licht auf Silber trifft oder auf Silizium? Der digitalen Aufnahme fehlt die Latenz, der direkte Blick auf das Display nimmt ihr diesen Faktor der Vorfreude und Überraschung. Die sofortige Verfügbarkeit der Aufnahmen wird gleichzeitig ihre Schwäche, das Besondere geht verloren durch den selbstverständlichen Überfluss der perfekten, instagrambaren Bilder.

In Hamburg haben sich mit Anatol Kotte und Oliver Heinemann zwei Profifotografen gegen die digitale Flut gestemmt. Im Sommer 2021 eröffneten sie Khrome und machten den analogen Traum viele neuer und alter Freunde der Fotografie wahr. Chrom (altgriechisch χρῶμα chrṓma, deutsch „Farbe“) schreiben die beiden entsprechend ihrer Anfangsbuchstaben, Kotte und Heinemann, mit KH. In der Kaiser-Wilhelm-Straße betritt man ein wunderbar entschleunigtes Geschäft für analoge Fotografie. Verspiegelte Apotheker-Vitrinen voller liebevoll gepflegter Gebrauchttechnik, Hasselblads, Nikons und Leicas, Objektive und Kühlschränke voll Film. Eine Kodak-Leuchtreklame grüßt von der Decke. Räumlich angeschlossen, ist Anatols Galerie Capitis, im Keller werden die Filme entwickelt. Im Labor herrscht reger Andrang. Ich treffe die beiden an einem ganz normalen Dienstag, an dem schon zweihundert Filme hereingekommen sind. …

 


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