Fotografie im Jahre 2043
Wie sieht die Bilderwelt in 25 Jahren aus? Wir wagen eine Prognose – oder besser gesagt: viele. Von Peter Schuffelen
There’s a starman waiting in the sky
He’d like to come and meet us
But he thinks he’d blow our minds.
– David Bowie (1972)
Das Jahr 2043 beginnt mit einem Donnerstag, so viel steht fest. Viel mehr aber auch nicht. Wird es noch Kameras geben? Prints? Berufsfotografen? Die bekannten roten, gelben, grünen oder blau-en Hardware-, Software- und Bild-Kommunikations-Platzhirsche? Analoges Filmmaterial? Kameras mit rechteckigen Sensoren? Pro-gnosen sind schwierig – vor allem weil sie die Zukunft betreffen. Ein paar Fakten aber lassen sich dennoch von heute aus interpo-lieren. Mit dem Mut zur Lücke versteht sich. Und zum 100-prozen-tigen Danebenliegen.
Fangen wir mit dem an, was derzeit als dominierende Gegenwart und Zukunft gehandelt wird: der Bildkommunikation im Netz. Eini-ges spricht dafür, dass Facebook und sein Adoptivkind Instagram bis auf Weiteres die Platzhirschen der Sozialmedien bleiben und die Interessen und Interaktionen ihrer Nutzer zu Geld machen. Mittelfristig aber ist nichts ausgemacht: Wann und was noch mal Myspace …? Sobald ein Online-Dienst mit dem intelligenteren (sprich: noch interaktiver vernetzenden, einfacher zu nutzenden, die Aufmerksamkeits- wie die reale Ökonomie aufmischenden) Algorithmus und Interface daherkommt, werden die gegenwärti-gen Zeitgeist-Gewinner die Segel streichen. Die Zukunft der Sha-ring-Economy, sie steht in den Sternen.
Radikal wandeln wird sich auch die Aufnahmetechnik. Mittelfristig werden Software-Tools die meisten der scheinbar unüberwindba-ren physikalischen Grenzpfosten der Bildproduktion schleifen. Kameramodule, wo auch immer sie stecken, werden das mensch-liche Auge imitieren, das – allen Unzulänglichkeiten und Ungenauigkeiten zum Trotz – der Kamera immer noch eines voraus hat: das Gehirn, mit dem es eng zusammenarbeitet. Was wir heute meinen, wenn wir Kamera sagen, wird radikal schrumpfen. Und immer mehr eins werden mit uns. Myspace …? Sobald ein Online-Dienst mit dem intelligenteren (sprich: noch interaktiver vernetzenden, einfacher zu nutzenden, die Aufmerksamkeits- wie die reale Ökonomie aufmischenden) Algorithmus und Interface daherkommt, werden die gegenwärtigen Zeitgeist-Gewinner die Segel streichen. Die Zukunft der Sha-ring-Economy, sie steht in den Sternen.
Radikal wandeln wird sich auch die Aufnahmetechnik. Mittelfristig werden Software-Tools die meisten der scheinbar unüberwindba-ren physikalischen Grenzpfosten der Bildproduktion schleifen. Kameramodule, wo auch immer sie stecken, werden das mensch-liche Auge imitieren, das – allen Unzulänglichkeiten und Unge-nauigkeiten zum Trotz – der Kamera immer noch eines voraus hat: das Gehirn, mit dem es eng zusammenarbeitet. Was wir heute meinen, wenn wir Kamera sagen, wird radikal schrumpfen. Und immer mehr eins werden mit uns.
Auf die Daten- und VR-Brillen werden weitere, äußerst tragbare (also physisch kaum mehr spürbare) Wearables folgen, danach unweigerlich: bildgebende Retina-Implantate. Von denen aus jede Nutzerin und jeder Nutzerin die Welt und das eigene Leben pausenlos und in Echtzeit dokumentieren wird. Soweit er oder sie will. Die meisten aber werden wollen, da braucht man kein Prophet zu sein, da reicht es, durch die Kanäle der Privatsender zu zappen. Das bedeutet – neben dem endgültigen Verlust der Privatsphäre – auch den Verlust der Wirklichkeit, wie wir sie heute kennen. Augmented- und Virtual-Reality verschmelzen, die Realität wird überlagert von einer Vielzahl an Bildern, Infotainments, Anfragen, Angeboten. Wie wir das aushalten? Wie jeden technischen Fortschritt zuvor. Die mehr als 60 Stundenkilometer schnelle Eisenbahn des 19. Jahr-hunderts, von der frühe Kritiker glaubten, sie werde dem Menschen das Hirn aus dem Kopf sprengen, sie ist von der Wirklichkeit längst überholt.
Dreidimensionale, im Raum schwebenden Reklametafeln werden uns umgeben, vermutlich weniger dystopisch und allgegenwärtig als im Film „Blade Runner“, anno 1982. Dafür aber umso perfider, omnipotenter, unausweichlicher. An der Supermarktkasse. Am Strand von Benidorm. Auf dem Amateursportplatz. In der Umklei-dekabine. Wir können Ganzkörper-Cybersex erleben, so wir denn wollen. Nur um festzustellen, dass das Wort „Schenkel“ anregender sein kann als jedes noch so abgefahrenes virtuellerotische Erlebnis. Der totale multimediale Overkill kommt, so viel ist sicher. Allerdings werden wir ihn nicht mehr als solchen empfinden. Weil wir mitgewachsen sind, mittendrin stecken.
Ganz zu schweigen von der Künstlichen Intelligenz, die weniger in humanoid anmutenden Robotern daherkommen wird als in alltäglichen Dingen. Wir werden fotografische Readymades anfertigen lassen, perfekt konzipierte Bilder, mit Lookalike-Filtern, im Ansel-Adams- oder im Nan-Goldin-Stil, ganz ohne unser kreatives Zutun. Die Artificial Intelligence wird uns befreien von den nervtö-tenden Routinearbeiten der Post-Production. Bilder werden sor-tiert, verschlagwortet, hochgeladen, automatisch ausgeliefert an den Nutzer, der uns in Bitcents entlohnt, die wir wiederum in das nächste, heiße Wearable investieren werden oder in den nächs-ten „How to“-Workshop.
Anstatt uns im Schein unserer Monitore zu verdingen, werden wir frei sein. Befreit von den Mühen des Stativausrichtens, dem Kampf mit widerspenstigen Gimbals oder beugungsunscharfen Linsen. Befreit von den langweiligen Routinen des Fotografendaseins. Models werden mit wahlweise exaltiertem oder gelangweiltem Blick im Rechner gerendert. Was uns die Mühen der Interaktion mit dem Gegenüber erspart – und ein paar schöne Frauen und Männer arbeitslos machen wird.
Wir Bildermacher aber werden frei sein für die neuen Impulse, die uns die neu gewonnene „Frei-Zeit“ ermöglicht. Wir werden mit neuen, maximalauflösenden „Kameras“ ins All und damit auf die Vergangenheit des Universums zurückblicken und die Menge der dottergelben Röhrenblüten der Gänseblümchen in unserem Vorgarten zählen können. Wir werden subatomare Strukturen sehen können und pathogene Strukturen in unserem Körper. Wir werden dank der Imaging-Technologie länger leben. Und trotzdem nicht wissen, wozu. Wir werden trotz allem keinen Gott finden und auch keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, ganz gleich wie hochauflösend die silizium-, kohlenstoff-, plasma- oder quantenbasierten Sensoren der nächsten und übernächsten Ge-neration sein werden.
Fest steht: Alles wird anders sein im Jahr 2043. Die Konstante, der Motor des Ganzen, wird unser unversiegbarer Drang nach Mittei-lung, nach Selbsterkenntnis, vor allem aber nach Selbstdarstellung sein. Ein Umstand, den sich die Bildindustrie bestmöglich zu eigen machen wird.
Und dann, wenn wir endlich die Bilder in die vierte Dimension heben und Zeit und Raum und Bewegt- und Standbild miteinander verschmelzen, und wenn endlich alles einmal fotografiert und alles irgendwann miteinander verknüpft ist, und wenn endlich jeder seine 15 Terabyte Berühmtheit gehabt haben wird, werden sich lokale Widerstandsgruppen formieren, die in solarbetriebenen, halblegalen Silberhalogenid-Küchen Filmemulsionen herstellen, um den „good ol’ days“ zu frönen. Schließlich wird all das in ei-nem dialektischen Prozess münden und in etwas Neuem, Wunder-barem aufgehen. Wie das aussieht? Vielleicht wie eine multidimensionale Mehrfachbelichtung, bei der zwei Trilliarden über- einandergeschichtete Bilder mit einem digitalem Skalpell freigekratzt werden müssen wie ein Wachsmalstiftbild. Vielleicht aber auch wie eine analoge, filmkörnige Matrix, in der wir schwimmen wie in einer körperwarmen Silbersalzlösung. Über all dem wird ein Starman wachen und uns unseren Segen erteilen. Ein „Thin white Duke“ namens Bowie – unser digit! Cover-Gesicht aus dem Jahre 2016 (Seite 37). So wird es kommen. Oder auch anders. Am 1. Ja-nuar 2043 wissen wir, ob unsere Prognose eingetroffen sein wird. So viel ist aber jetzt schon sicher: Es wird ein Donnerstag.
Throw me tomorrow, oh oh
Only for you I don’t regret
And I was Thursday’s child.
– David Bowie (1972)
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