Das schöne Biest

Die Ausstattung der Fujifilm-GFX100-Kamera ist beeindruckend: 102 Megapixel, integrierte 5-Achsen-Bildstabilisierung, schneller Phasenautofokus. Wie sich das spiegellose Mittelformat-Flaggschiff in der Praxis schlägt, konnte Peter Schuffelen für digit! ein paar Stunden lang ausprobieren.

Und zwar in den Straßen Tokios, gleich nach der offiziellen Präsentation des neuen Auflösungsriesen. Straßenfotografie? Mit einer Mittelformatkamera? Das klingt etwas abstrus, und natürlich ist das nicht die Disziplin, für die Fujifilms neues, 102 Megapixel auflösendes Mittelformat-Flaggschiff entworfen wurde. Und doch entpuppte sich die Fotosafari durch die Stadt als erstaunlich praktikabel. Eine schmale Einkaufsstraße im Zentrum: Einheimische und Touristen flanieren zwischen Haustier-Hotels und Modegeschäften. Ich nehme Passanten ins Visier, Ladenbetreiber, die Kunden mit ausladenden Gesten in die Geschäftsräume einladen, eine Schulklasse, die vor einem Eiskiosk Schlange steht. Erster Eindruck: Die GFX100 mag nicht dafür konzipiert sein, aber sie kann auch „Straße“: Der Autofokus packt ähnlich schnell zu, wie man es von DSLM-Modellen mit kleinerem Sensor gewohnt ist, die Gesichtserkennung spricht schnell an.

Der aufsteckbare elektronische Sucher löst mit 5,76 Millionen Bildpunkten sehr fein auf, das Sucherbild mit seiner 0,86-fachen KB-äquivalenten Vergrößerung wirkt riesig und ist ein Genuss. Klar, die GFX100 ist ein Brocken, nicht nur im Vergleich zu Spiegellosen mit kleinerem Sensor, sondern auch gemessen am kompakten Schwestermodell GFX 50R.

Der betriebsbereite Body wiegt 1.400 Gramm und bringt samt aufgestecktem Sucher und dem GF 32-64mm f/4 R LM WR rund 2.300 Gramm auf die Waage. Die Kamera ist wuchtig, aber fühlt sich nicht so an. Das liegt an dem sehr gut ausbalancierten Verhältnis unserer Kamera-Objektiv-Kombination. Die wog übrigens weniger als so manche Vollformat-DSLR samt brennweitenäquivalentem Objektiv und angeschraubtem Batteriegriff. Den Batteriegriff muss man in den Vergleich miteinbeziehen, denn bei der GFX100 ist er fester Bestandteil des Gehäuses; auch das tut dem Handling – Stichwort Hochformat-Aufnahmen – gut.

Die Kamera besitzt einen Griff, durch den sie gut in der Hand liegt – so gut, dass man sie bei Bedarf sicher einhändig neben dem Körper tragen kann. Abgesehen davon, baut der Body vergleichsweise flach, und er wirkt sehr aufgeräumt. Nur wenige Räder stehen hervor, denn Fujifilm geht mit der GFX100 konsequent neue Wege in Sachen Bedienkonzept. So verzichtet das neue Flaggschiff auf die Vielzahl an physischen Einstellrädern, für welche die X-Serie wie auch die beiden anderen GFX-Modelle bekannt sind. Meine anfängliche Skepsis angesichts dieser Minimalisierung war schnell verflogen. Denn das Interface ist durchdacht und erlaubt die direkte Ansteuerung der wesentlichen Kameraparameter. Die Blende lässt sich bei den GF-Objektiven ja ohnehin via Blendenring regeln. Das vordere Steuerrad übernimmt je nach Aufnahmekontext verschiedene Funktionen. Ich habe es, da ich überwiegend mit Blendenpriorität fotografiert habe, zur Anpassung der ISO-Empfindlichkeit an die jeweiligen Lichtverhältnisse genutzt. Die Kameraparameter lassen sich wahlweise im Sucherbild kontrollieren oder über eines der beiden Displays, die unterhalb des schwenkbaren Monitors bzw. auf der Schulterseite des Kamerabodys angebracht sind. Anders als bei physischen Rädern werden so Parameterveränderungen auch dann in Echtzeit angezeigt, wenn die Kamera ferngesteuert wird. Und hier liegt – neben dem schlankeren Design des Kamerabodys – auch der wesentliche Vorteil des für Fujifilm ungewohnt…


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