AM
Der Fotojournalist und Essayist Andreas Herzau berichtet über seine zwischen 2009 und 2017 entstandene Werkserie über Angela Merkel, die jetzt unter dem Titel „AM“ als Buch erschienen ist.
„Ich beschließe also, auf meinen Lippen und in meinen Augen ein leichtes Lächeln ‚spielen zu lassen‘, das ‚undefinierbar‘ wirken und mit den mir eigenen Qualitäten zugleich zum Ausdruck bringen soll, dass ich das ganze photographische Zeremoniell amüsiert über mich ergehen lasse …“
Roland Barthes, „Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie“, zitiert in „AM“
In den neun Jahren, in denen ich Angela Merkel fotografisch begleitet habe, hatte ich nur wenige Gelegenheiten, mit ihr zu sprechen; bei einer davon ging es um Fotografie. Es war im September 2009, ich begleitete sie, als sie zusammen mit der Familie Adenauer im historischen „Rheingold Express“ von Bonn nach Berlin reiste. Mit Blick auf die vielen Adenauer-Bildbände, die auf den Tischen des Panorama-Wagens lagen, fragte ich sie, ob es nicht in ihrem Interesse läge, wenn es von ihrer Person andere Bilder gäbe als die ewig gleichen Aufnahmen von Pressekonferenzen. Sie entgegnete, dass sie das nicht für nötig halte. Ich hakte nach, fragte, ob es nicht wichtig sei, gerade sie als Frau in einer Männerdomäne in einer etwas persönlicheren Weise zu fotografieren, doch da war das Gespräch schon vorbei. Kurz hinter Koblenz schlief sie für einen Moment ein, entspannt, erschöpft – sie hatte schon morgens um sieben Uhr bei Nieselregen einen Kranz an Adenauers Grab niedergelegt. Ich überlegte, ob ich ein Bild machen sollte, der Blick des Bodyguards aber sagte: „Denk nicht mal daran!“ Ich hätte mich wohl ohnehin gegen eine Aufnahme der schlafenden Merkel entschieden, denn ein solches Bild wäre anders bewertet worden als eines des schlafenden Adenauer, Brandt oder Kohl. Harte Schale, weicher Kern hätte es wohl geheißen. Merkel wäre ein Nickerchen aber als Schwäche ausgelegt worden.
Kurz darauf habe ich dann doch noch ein „persönliches“ Bild machen können, eines, das die Kanzlerin in einem ungestellten Augenblick zeigt. In diesem Moment war ich der einzige Fotograf vor Ort, und sie hatte die Anwesenheit der Kamera vermutlich vergessen. Jedenfalls blickte sie aus dem Zug, gedankenverloren und nachdenklich, wie sich an ihrem Gesicht ablesen lässt, das sich in der Fensterscheibe spiegelt.
Es ist ein seltenes Glück, solch ein Bild machen zu können. Die Zugangshürden sind hoch, die Gelegenheiten rar, bei Merkel vielleicht besonders. Politik will die Bilder …
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