Nicht an Perfektion gewöhnt
Marlene Wenger macht sich Gedanken über virtuelle Schönheit, die Rückwirkungen von Social-Media-Filtern und generative KI.
Wenger ist Kuratorin, Digitalkunstexpertin und Programmleiterin beim „Haus der Elektronischen Künste“ (HEK).
Face-Filter auf Social Media, die KI und Photoshop natürlich: Das körperliche Schönheitsideal ist schon lange nicht mehr nur analog zu denken. Digitale Technologien und Plattformen verändern den Blick auf den menschlichen Körper, auf Schönheit und unsere Selbstdefinition allgemein. Das „Haus der Elektronischen Künste“ in Basel (HEK) hat in seiner visuell wie konzeptuell spannenden Ausstellung „Virtual Beauty“ dieses Phänomen vor Kurzem beleuchtet. Künstler wie Michael Wallinger, Daniel Sannwald und Ben Cullen Williams zeigten Werke, in denen maschinelles Lernen und generative Software eingesetzt werden, um verzerrte Portraits zu erstellen. Daniel Sannwald etwa, indem er mit einer „Beauty-GAN“ alternative Gesichter der Kardashian-Halbschwester und Kosmetikunternehmerin Kylie Jenner erstellte und so Fragen zur Wahrnehmung von Schönheit durch Künstliche Intelligenz aufwarf. Das Künstler-Kollektiv Keiken und Ines Alpha spekulierte in interaktiven Installationen über die Möglichkeit, sich über „virtuelle Make-ups“, die auf Augmented-Reality-Filtern basieren, in digitale Hybride zu verwandeln. Das Duo Juno Calypso und Geriko lud Besucherinnen und Besucher in futuristische Schönheitssalons ein. Andere Künstler gaben ihnen die Möglichkeit, mittels Touchscreens über das Aussehen von Körperdetails zu entscheiden oder sich selbst über eine Art Virtual-Reality-„Spiegel“ als junges schwarzes Mädchen zu sehen. Die HEK-Programmleiterin Marlene Wenger war als Kuratorin an der Konzeption der Ausstellung beteiligt. Wir haben mit ihr gesprochen.
digit!: Frau Wenger, was war das inhaltliche Konzept von „Virtual Beauty“?
Marlene Wenger: Kurz gesagt, ging es bei den meisten Positionen darum, eine produktive Reibung zu erzeugen, indem Unzulänglichkeiten von KI-Systemen genutzt wurden, um „schöne Fehler“ zu generieren. Andere Werke haben die AR-Tools oder Face-Filtern funktional umgewidmet und so die Perfektion digital generierter Schönheit hinterfragt.
Perfektion und Schönheit sind also nicht dasselbe?
MW: Unser Auge ist nicht an absolute Perfektion gewöhnt. Das fängt schon damit an, dass menschliche Gesichter nie perfekt symmetrisch sind. Eine der Installationen hat genau damit gespielt und gezeigt, wie seltsam es aussieht, wenn man eine Gesichtshälfte exakt spiegelt. Anderer Positionen feierten die Möglichkeiten der neuen Technologien aber auch auf eine künstlerisch-spielerische Art und Weise. Es geht nicht darum, die aktuelle Entwicklung zu verteufeln. Klar ist aber: Schönheitsfilter und KI-Bildwelten verstärken normative Schönheitsideale, was zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung führen kann. Das geht so weit, dass Menschen ihr durch Beauty-Filter optimiertes Portrait als Zielvorgabe für eine Gesichtschirurgie nehmen.
Welche Rückwirkungen hat das auf die Portraitfotografie? Gerät diese unter Druck, Menschen ästhetisch immer weiter zu perfektionieren?
MW: Ich bin keine Fotografie-Expertin, ich glaube aber nicht, dass das so eindimensional passiert. Bei derartigen Phänomenen gibt es immer auch Gegentrends: Social Media und die neuen technischen Tools bieten auch Raum für Gegenbewegungen und …
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