Titel … Geschichten
Das Cover ist das Gesicht einer Zeitschrift – und ein Zeitgeist-Barometer. Wir sind abgetaucht in unser Archiv, haben 25 Jahre digit! Titelseiten Revue passieren lassen und dabei – neben vergangenen Technik- und Bildsprache-Trends – auch die eine oder andere Preziose zutage gefördert.
25 Jahre digit!, das sind allein 120 Ausgaben in den fünf ersten Jahren – digit! erschien anfangs zweiwöchentlich als 8-Seiten-Beilage der Photo Presse – und die gleiche Anzahl an Magazinen in den folgenden 20 Jahren, in denen „Das Profi-Magazin für digitale Bilder“ zweimonatlich in den Briefkästen der Leser und später auch im Zeitschriftenhandel landete. Macht zusammen zweihundertundvierzig Coverbilder, die einerseits die visuellen Vorlieben der Redaktion und andererseits die technischen und bildsprachlichen Trends in der Fotografie widerspiegeln.
Die 90er
Eine kokette Fußnote unserer Archiv-Revue vorab: Das Titelbild der allerersten Ausgabe von Januar 1993 ist nicht etwa ein Foto, sondern eine Zeichnung – das fantastisch anmutende Portrait einer Künstlerin, das eingescannt und per Iris-Tintenstrahldruck ausgegeben wurde. Das Fine-Art-Printing-Studio Nash Editions wurde von Musik-Legende Graham Nash und Marc Holbert gegründet und existiert immer noch. Ebenfalls bemerkenswert aus heutiger Sicht: Das Titelbild nimmt in den Kinderjahren nur die Hälfte des Covers ein – der Platz war in dem seinerzeit acht Seiten dünnen Blatt begrenzt, der Erklärungsbedarf riesig und ja: der Pool an (foto-)grafisch herausragenden Digitalbildern überschaubar. Im Startjahr zieren unter anderem obskure Wärmekamerabilder den die Titelseite des Digitalmagazin-Pioniers: Noch ist die Digitalfotografie ein Exot, den das große Publikum mit Faszination und Vorbehalten beäugt wie einen grünen Flamingo. Zwei Jahre später ein augenzwinkerndes Composing: ein Schimmel, der sich nach seinem Gang durch einen Klappbetttoaster in ein Zebra verwandelt.
Im April 1996 kommt – sozusagen als Testballon für das spätere, ab 1998 eingeführte Layout – ein erstes vollformatiges Titelbild heraus. Das Motiv ist eine Hommage an das berühmte Portrait „Der Fotojournalist“ von Andreas Feininger. Zu sehen ist ein Mann, der sich eine Kodak DC50 Zoom vor ein Auge hält – eine frühe Digicam im Feldstecher-Format, die eine Auflösung von 0,38 MP und ein Dreifachzoom vorweisen kann. Wenige Monate später folgt das eher konventionell inszenierte Lifestyle-Bild eines niederländischen Studios. Seine Besonderheit: Es wurde mit einem Sinar DCS 465 Back aufgenommen, einem frühen Digitalback mit 6,2 Megapixeln.
Kinder, wie die Zeit vergeht und wie viel Staub sie hinterlässt – auch auf den Bildern der Vergangenheit. 1998 macht die digit! mit der Halbfigur eines kahlköpfigen weiblichen Cyborgs auf, der gebannt auf einen tragbaren Röhren-Fernseher schaut, während der geneigte Leser gebannt die imposanten, digital vergrößerten Fake-Boobs der Zukunftselfe betrachtet.
Die Nuller-Jahre
Nicht weniger wunderlich aus heutiger Sicht: die photokina-Ausgabe von 2000. Sie zeigt ein Composing, auf dem eine attraktive, leicht überpostete Schwarzhaarige in einer virtuellen Matrix aus LED-Ziffern und pixelartigen Netzen mit verspiegelter Brille am Betrachter vorbei in die Zukunft schaut. Zweifellos ein Hingucker. Das eigentlich Erstaunliche aber ist, wie überholt diese Zukunftsvision 18 Jahre später wirkt. Fast möchte man sagen: retro.
Beim Durchforsten des digit! Archivs wird deutlich: Das neue Jahrtausend bedeutet auch eine ästhetische Zäsur, ganz so als habe jemand einen Schalter umgelegt. Statt Bildern mit technikbetontem oder futuristischem Anstrich rücken nun solche in den Fokus, bei denen der Verweis auf ihren digitalen Ursprung nicht immer offensichtlich ist. Die ersten digitalen Kinderkrankheiten sind ausgestanden, die Begeisterung für die exaltierten Composings der Digital-Artist-Pioniere und die unendlichen Jagdgründe von Photoshop klingen allmählich ab. Bildkomposition statt Composing, der Bildsprache tut das gut. Sicher, der Look ist erkennbar anders als heute, und doch scheinen diese Bilder gar nicht mehr so weit entfernt vom aktuellen Status quo.
Dennoch, neue Technologien spielen weiter eine wichtige Rolle: 2005 thematisiert die digit! das heraufziehende Zeitalter des Mobile Imaging und erscheint mit einem Bild, das der Fotokünstler Wolfgang Zurborn aufgenommen hat (mit einem 1,3 Megapixel auflösenden Nokia-Handy, das Smartphone war noch nicht erfunden). 2009 hebt das Magazin das Thema Bewegtbild auf den Titel – mit einem Bild, das einen jungen Mann zeigt, der über ein Treppengeländer springt und dabei mit einem Camcorder filmt. Früh schon wirft die Revolution der Rechnerbilder auch in der digit! ihre Schatten voraus. Im Winter 2009 machen wir mit einer Frau auf, die ein futuristisch geformtes Acrylglas-Headset trägt. Oder besser gesagt: zu tragen scheint. Denn in Wirklichkeit handelt es sich um ein Accessoire, das deutsch-amerikanische 3D-Experten gerendert und dem Model später in Photoshop aufgesetzt haben.
2010 bis heute
Ein Jahr später erscheint die digit! erstmals auch am Kiosk, umfangreicher und in gebundener statt gehefteter Form. Bis heute bilden die digit! Titel die bildsprachlichen Trends ab, es ist ein ständiges Auf und Ab von heißeren und kühleren, von betont authentischen und inszenierten Phasen: Knallige und hyperperfekte Highgloss-Fashion- und Werbe-Motive; die Wiederentdeckung des Analogen und die (mehrfache) Renaissance des Schwarzweißen; spielerische Ansätze in der Still-Life-Fotografie; Street-Photography-Positionen, die mit Vexierbildern und Doppeldeutigkeiten spielen; analog fotografierte Bilder im Snapshot- und im klassischen Stil; Staged Photography im cineastischen Look; die hochartifiziellen CGI-Welten des Automotive-Imaging; neue (und paradoxerweise perfekt inszenierte) „Natürlichkeit“; Retrofuturistisches und Anlehnungen an die Ästhetik von Instagram & Co. Und natürlich: das Nachdenken über Fotografie mit den Mitteln der Fotografie.
Und wie sieht das typische digit! Cover der Zukunft aus? Entscheidend sind nicht allein das Gespür der Redaktion und das Feedback unserer Leser. Sondern auch die inhaltliche technologische und ästhetische Entwicklung der Fotografie. Papier ist geduldig – geduldiger als ein Display jedenfalls. Es bleibt spannend.